Autorin: Sabine Schütze
Design-Food – Milliardengeschäft Nahrungsergänzung
Etwa jeder dritte Erwachsene in Industrieländern schluckt künstliche Vitamine oder sekundäre Pflanzenstoffe, um gesund zu bleiben und Ernährungssünden auszugleichen. Einen nachgewiesenen Mangel haben die wenigsten.
Und keine wissenschaftliche Studie konnte bisher nachweisen, dass das ständige Schlucken von Vitaminpillen gesundheitliche Vorteile bringt. Im Gegenteil, selbst harmlose Substanzen wie Kalzium oder Vitamin E können zu einem höheren Krebsrisiko führen, wenn sie regelmäßig hochdosiert genommen werden. Trotz solcher Erkenntnisse wächst der Markt für Nahrungsergänzungsmittel beständig.
Er ist ein Milliardengeschäft, an dem auch Lebensmittelproduzenten mitverdienen wollen. Sie tüfteln an Designer-Nahrung, die speziell für bestimmte Personengruppen wie Schwangere oder Diabetespatienten bestimmt ist. Was ist dabei sinnvoll, was Geldmacherei? Ein systematischer Blick aufs Thema Nahrungsergänzung.
Sendung als Podcast
Download Funkkolleg Ernährung (Folge 06), MP3-Audioformat, 30 MB
Sendung in hr-iNFO: 07.12.2019, 11.30 Uhr
Zusatzmaterial
- Nahrungsergänzungsmittelverordnung
- Health-Claims
- Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)
- Jodanreicherung in Speisesalz
- SELECT-Studie
- Antioxidantien vs. freie Radikale
- Nährstoffbedarf ausgewählter Personengruppen
- Pharmakonutrition
- Personen
1. Nahrungsergänzungsmittelverordnung
Nahrungsergänzungsmittel werden rechtlich als Lebensmittel eingestuft und sind lediglich dazu bestimmt die Ernährung von gesunden Personen zu ergänzen. Es sind Konzentrate von Nährstoffen und anderen Stoffen, die in dosierter Form bspw. als Kapseln, Tabletten, Pillen, Pulverbeutel oder Flüssigampullen in Verkehr gebracht werden und ernährungsspezifisch oder physiologisch wirksam sein sollen. Nahrungsergänzungsmittel sind keine Arzneimittel, Betäubungsmittel oder psychoaktive Substanzen. Sie unterliegen keiner Zulassungspflicht, da sie aus rechtlicher Sicht Lebensmittel sind und ohne behördliche Prüfung von Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit auf den Markt kommen. Ob sie sicher sind und wirken, prüfen die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Bundesländer nur stichprobenartig, wenn die Produkte bereits auf dem Markt sind. Vor Inverkehrbringen müssen Nahrungsergänzungsmittel lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) angezeigt werden. Das BVL prüft die Anzeige ausschließlich auf Vollständigkeit und leitet sie dann an die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Landesbehörden und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) weiter.
https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/
Die Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel wurde im Jahr 2004 gefertigt.
2. Health-Claims
Health Claims sind gesundheitsbezogene Werbeaussagen auf Lebensmitteln, welche von der EU zugelassen sein müssen. 2006 trat die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 in Kraft. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA wurde beauftragt, die von Herstellern aus allen EU-Mitgliedsstaaten eingereichten Werbeversprechen wissenschaftlich zu überprüfen. Aufgrund der sehr großen Anzahl an Anträgen hat es fünf Jahre gedauert, bis die EU im Mai 2012 eine Liste mit 222 erlaubten gesundheitsbezogenen Aussagen (Health Claims) veröffentlich hat. Diese Liste wird seither fortlaufend erweitert und beinhaltet derzeit etwa 250 Claims.
Die Verordnung dient der Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EU-Mitgliedstaaten über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei der Kennzeichnung und Aufmachung von oder Werbung für Lebensmittel. Sie trägt in hohem Maße zum Verbraucherschutz bei und sorgt dafür, dass jede freiwillige Angabe auf einem Lebensmittel innerhalb der Länder der EU eindeutig, präzise und begründet ist, um den Verbraucher zu ermöglichen, fundierte und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Weiterhin hat die Verordnung die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs sowie die Förderung und den Schutz von Innovationen im Bereich der Lebensmittel zum Ziel.
3. Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)
Die EFSA (engl. European Food Safety Authority) ist eine europäische Behörde, die von der Europäischen Union finanziert wird und unabhängig von der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten arbeitet.
Sie wurde 2002 infolge einer Reihe von Lebensmittelkrisen in den späten 1990er Jahren als unparteiische Quelle für wissenschaftliche Beratung und Kommunikation zu Risiken im Zusammenhang mit der Lebensmittelkette eingerichtet. Die rechtmäßige Gründung der Behörde durch die EU erfolgte im Rahmen des Allgemeinen Lebensmittelrechts – mit der Verordnung 178/2002. Das Allgemeine Lebensmittelrecht schuf ein europäisches Lebensmittelsicherheitssystem, in dem die Zuständigkeiten für die Risikobewertung und das Risikomanagement voneinander getrennt sind.
In ihrer Funktion als Risikobewerter erstellt die EFSA wissenschaftliche Gutachten und Empfehlungen, die für die europäische Politikgestaltung und Gesetzgebung bezüglich der Lebensmittelkette als Grundlage dienen. Unser Aufgabenbereich umfasst:
- Lebens- und Futtermittelsicherheit
- Ernährung
- Tiergesundheit und Tierschutz
- Pflanzenschutz
- Pflanzengesundheit
4. Jodanreicherung in Speisesalz
Jod ist ein lebensnotwendiges Spurenelement, das mit der Nahrung aufgenommen werden muss. Es wirkt als Bestandteil der Schilddrüsenhormone. In Bezug auf den Jodgehalt im Boden ist Deutschland ein Jodmangelland. Um eine ausreichende Jodzufuhr sicherzustellen, ist daher nach den geltenden lebensmittelrechtlichen Vorschriften die Jodierung von Speisesalz zugelassen. Jod darf in Form von Kalium- und Natriumjodat Kochsalz zugesetzt werden, wobei der Zusatz auf maximal 25 µg/g Speisesalz beschränkt ist. Die Jodanreicherung von Kochsalz ist aus gesundheitspolitischen Gründen wichtig und gewünscht, sie ist aber, ebenso wie die Verwendung von jodiertem Speisesalz bei der Herstellung von Lebensmitteln in Deutschland freiwillig.
https://www.bmel.de/DE/Ernaehrung/GesundeErnaehrung/_Texte/DEGS_JodStudie.html
Die Jodversorgung in Deutschland hat sich durch den Einsatz von Jodsalz in Privathaushalt und teilweise in Gastronomie und Industrie verbessert. Aber auch, weil Nutztiere das für sie lebenswichtige Spurenelement über jodiertes Futter bekommen, ist der Jodgehalt in Eiern, Milch und Milchprodukten gestiegen.
5. SELECT-Studie
SELECT steht für „selenium and vitamin E cancer prevention trial“ und stellt eine randomisierte, prospektive, doppelblinde Studie dar, die untersucht inwiefern eine Supplementation mit Selen und / oder Vitamin E das Risiko für die Entstehung von Prostatakrebs in 32.400 gesunden Männern senken kann.
Es konnte gezeigt werden, dass durch die Supplementation sowohl mit einem der Nährstoffe als auch mit beiden Nährstoffen gleichzeitig das Risiko für die Entstehung von Prostatakrebs nicht positiv beeinflusst werden kann im Vergleich zu der Einnahme mit einem Placebo. Statistisch nicht signifikant konnte allerding gezeigt werden, dass die alleinige Supplementation mit Vitamin E das Risiko fürdie Entstehung von Prostatakrebs erhöhen kann.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4408535/pdf/nihms609238.pdf
6. Antioxidantien vs. freie Radikale
Antioxidantien bieten Schutz gegen sogenannte „freie Radikale“. Diese freien Radikale werden zum einen vom Körper selbst während verschiedener Stoffwechselprozesse gebildet, zum anderen entstehen sie durch schädliche äußere Einflüsse wie Zigarettenrauch, Umweltgift oder UV-Strahlung der Sonne. Gibt es zu viele freie Radikale in unserem Körper, entsteht sogenannter „oxidativer Stress“. Dieser soll Krankheiten wie Arteriosklerose, Herz-Kreislauferkrankungen, Arthritis und Krebserkrankungen mitverursachen und zudem die Haut schneller altern lassen.
In der Regel hat unser Körper ein gut funktionierendes Schutzsystem, um die freien Radikale in Schach zu halten. Dabei wirken Antioxidantien meist nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit anderen Antioxidantien (antioxidatives Netzwerk). Einzelne Vitamine und Mineralstoffe sind Bestandteil dieses Systems.
Je nach Herkunft lassen sich Antioxidantien einteilen in:
- Im Körper gebildete (z.B. Enzyme, Hormone, Stoffwechselprodukte)
- Von außen mit der Nahrung zugeführte (z.B. Gemüse, Obst, Nüsse)
Antioxidantien aus der Nahrung sind zum Beispiel Vitamin C und E, Selen oder sekundäre Pflanzenstoffe (Beta-Carotin, Resveratrol oder Flavonoide). Deshalb ist es wichtig, reichlich pflanzliche Lebensmittel in den Speiseplan einzubauen.
7. Nährstoffbedarf ausgewählter Personengruppen
Häufig enthalten Nahrungsergänzungsmittel neben einer breiten Palette von Nährstoffen wie Vitaminen, Spurenelementen, Mineralstoffen oder Aminosäuren auch pflanzliche Inhaltsstoffe oder Zubereitungen, die als Botanicals bezeichnet werden. Bei der gesundheitlichen Bewertung von Nahrungsergänzungsmitteln mit isolierten Pflanzeninhaltsstoffen spielt die Dosierung eine entscheidende Rolle. Wer sich ausgewogen und abwechslungsreich ernährt, nimmt über Obst, Gemüse, Kräuter und Gewürze ausreichende Mengen an sekundären Pflanzenstoffen zu sich. Dies kann sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Die Bioverfügbarkeit von Pflanzenstoffen, die in konzentrierter Form bspw. über Kapseln zugeführt werden, kann aufgrund fehlender Wechselwirkungen mit anderen Stoffen in Lebensmitteln, wesentlich höher liegen. Nahrungsergänzungsmittel stellen daher keinen Ersatz für eine ausgewogene Ernährung dar. Sportlerinnen und Sportler können ihren Nährstoffbedarf über eine sportgerechte, individuell angepasste Ernährung decken.
https://www.bfr.bund.de/cm/350/nahrungsergaenzungsmittel-im-sport.pdf
In der Schwangerschaft steigt der Bedarf an vielen Nährstoffen. Durch eine bewusste Auswahl der Lebensmittel können Schwangere alle Nährstoffe – mit Ausnahme von Jod und Folsäure – in ausreichender Menge aufnehmen. Schwangeren wird empfohlen pro Tag 400 µg Folsäure und 100-150 µg Jod in Form eines Nahrungsergänzungsmittels einzunehmen. Eisen sollte nur bei nachgewiesenem Mangel ergänzt werden.
8. Pharmakonutrition
Im Fokus der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition steht die Erforschung von Lebensmittelinhaltsstoffen mit pharmakologischen Wirkungen. Die klinische Anwendung entsprechender Pharmaconutrients dient dabei nicht vorrangig der physiologischen Nährstoffzufuhr, sondern erfolgt mit therapeutischer Zielsetzung. Durch gezielte Nutzung von isolierten und spezifisch dosierten Lebensmittelinhaltsstoffen können eigene therapeutische Effekte ebenso erreicht werden wie die Optimierung der Arzneimitteltherapie. Damit verbindet die Pharmakonutrition die Teildisziplinen Pharmakologie, Ernährungswissenschaft und Ernährungsmedizin zu einem innovativen, interdisziplinären Forschungs- und Therapieansatz.
Der Schwerpunkt der Forschung liegt weniger auf den „klassischen“ Mikronährstoffe wie Vitaminen und Mineralstoffen als vielmehr auf sekundären Pflanzenstoffen und Metaboliten des intestinalen Mikrobioms. So können bestimmte Lebensmittelinhaltsstoffe die Wirksamkeit einer Strahlen- oder Chemotherapie steigern, und gezielte Mikronährstoff-Supplementation kann die Verträglichkeit von Arzneimitteln erheblich verbessern. Umgekehrt können Nebenwirkungen einer Arzneimitteltherapie durch nicht erkannte Mikronährstoff-Defizite häufiger und stärker auftreten.
Entsprechende Ansätze werden sowohl in der präklinischen Forschung als auch in klinischen Studien untersucht. Inhaltliche Schwerpunkte liegen dabei auf dem Einsatz von Pharmakonutrients in der Onkologie, bei metabolischen Erkrankungen sowie in der Intensivmedizin.
9. Personen
Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich
Herr Smollich studierte Pharmazie und Biologie und arbeitete anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Universitätsklinikum in Münster. Von 2009 bis 2013 war er Ressortleiter der Klinischen Pharmazie am St. Franziskus-Hospital in Münster. Die Professur für Klinische Pharmakologie und Pharmakonutrition an der Mathias Hochschule in Rheine hatte er von 2013 bis 2018 inne. Seit 2018 ist er Leiter der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf Pharmakonutrition, Functional Food, Arzneimittel-Lebensmittel-Interaktionen sowie auf Pharmakologie in der Ernährungsmedizin.
Dr. Ellen Ulbig
Frau Ulbig ist Kommunikationsforscherin am Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Sie hat für eine Studie 20- bis 70 jährige zu Nahrungsergänzungsmittel befragt.
Angela Clausen
Frau Clausen studiere Ökotrophologie in Kiel und arbeitet seit 1995 bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Seit 2000 ist sie dort wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie ist Mitglied der bundesweiten Netzwerkgruppe „Lebensmittelqualität und Sicherheit“ und der Arbeitsgruppe „Lebensmittel im Gesundheitsmarkt“ der Verbraucherzentralen. Seit 2006 ist sie zusätzlich als Fachjournalistin für Ernährung und Redakteurin tätig für die Fachzeitschrift KnackPunkt.
Prof. Dr. Helmut Heseker
Herr Heseker studierte Ernährungswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Zwischen 1980 und 1984 schrieb er seine Promotion ebenfalls in Gießen und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ernährungswissenschaft. 1993 habilitierte er sich im Bereich „Ernährung des Menschen“ und trat anschließend eine Vetretungsprofessur an der Universität in Paderborn an. Von 1996 bis 1997 war er Fachgebietsleiter für „Diätetische und Neuartige Lebensmittel“ in der Fachgruppe Ernährungsmedizin des BgVV in Berlin. Seit 1997 ist er Professor für Ernährungswissenschaft an der Universität in Paderborn. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Studien zur Lebensmittel- und Nährstoffzufuhr und Paderborner Adipositas Prävention und Intervention. Weiterhin befasst er sich mit der Aufnahme von Zusatzstoffen mit Lebensmitteln sowie der Bedeutung der Selbstzubereitung von Mahlzeiten und vom Verarbeitungsgrad auf die Nährstoffversorgung und die Gewichtsentwicklung.
Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial.
Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 04.12.2019 erstellt von:
Dr. Sandra Habicht, Jana Roßney