Autor: Christoph Käppeler
Kann das weg oder ist das Essen? – Lebensmittelverschwendung
Rund ein Drittel aller produzierten Lebensmittel weltweit wird verschwendet. Verkommt, verrottet auf den Feldern oder im Lager, landet im Müll. Dies wirkt absurd angesichts drohender und auch akuter Nahrungsmittelknappheit. Im Jahr 2018 waren laut FAO über 800 Millionen Menschen unterernährt – jeder neunte Erdenbürger.
Viele Regierungen, auch die deutsche Bundesregierung, verabschieden inzwischen Programme, um die Verschwendung von Lebensmitteln zu bekämpfen. Die Vereinten Nationen wollen den Lebensmittelmüll weltweit bis 2030 halbieren, die deutsche Bundesregierung und die EU haben sich diesem Ziel angeschlossen. Wie wirkungsvoll können Programme sein, die Verschwendung zu reduzieren? Wo setzen sie an? Welche globalen Maßnahmen wären sinnvoll?
Sendung als Podcast
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Sendung in hr-iNFO: 09.05.2020, 11:30 Uhr
Zusatzmaterial
- Lebensmittelverschwendung
- „Containern“
- Verlust an Lebensmitteln – Pro-Kopf-Wert
- „Save Food“
- Nahrungsmittelverluste vs. Lebensmittelverschwendung
- Welthungerbericht
- „Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“
- „Foodwaste“-Hierarchie
- weiterführende Literatur
- Personen
1. Lebensmittelverschwendung
Sind Sie auch manchmal unsicher, ob ein Lebensmittel noch genießbar ist, obwohl das MHD („mindestens haltbar bis …“) schon erreicht oder überschritten ist? Vieles ist länger haltbar. Wir helfen Ihnen dabei, Lebensmittel zu retten, die sonst im Abfalleimer landen würden. Prüfen Sie das Lebensmittel mit allen Sinnen. Hat es sich verfärbt, hat sich Schimmel gebildet, riecht es komisch, hat eine Gasbildung stattgefunden: Dann seien Sie besonders achtsam und werfen es im Zweifelsfall lieber weg.
Hier finden Sie eine übersichtliche Checkliste, wie Sie Lebensmittel prüfen können, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bereits abgelaufen ist.
Lebensmittel teilen oder abgeben
- Wer zu viele Lebensmittel eingekauft hat, kann sie über die Plattform www.foodsharing.de mit anderen teilen statt in den Mülleimer zu werfen. Übrig gebliebene Lebensmittel von einer Party oder bevor man in den Urlaub fährt, können per PC oder Smartphone auf der Online-Tauschbörse angeboten werden. Die Anmeldung dafür ist denkbar einfach, man braucht lediglich eine E-Mail-Adresse. Die Seite ist kostenlos zugänglich.
- Nach Feierabend können Sie mit der Too Good To Go-App noch weitere Lebensmittel retten. Einige Restaurants und Bäckereien bieten vor Ladenschluss übrig gebliebene Lebensmittel preiswerter an, die sonst vernichtet werden müssten.
- An die Tafel Deutschland können nicht nur Hersteller und Händler Lebensmittel spenden, sondern auch Privatpersonen. Dafür wenden Sie sich am besten an Ihre Tafel vor Ort oder den zuständigen Landesverband. Gemeinsam mit der Tafel Deutschland e.V. und der Wiener Tafel haben wir eine Aktion zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung gestartet.
- Unser Ratgeber „Kreative Resteküche“ hilft Ihnen dabei, Reste vom Vortag einfallsreich zu verwerten. Vom Rest zum Rezept lautet die Devise. Im Buch finden Sie viele leckere Rezepte mit Angabe der benötigten Reste.
- Mehr Informationen finden Sie auch auf der bundesweiten Internetseite unter dem Titel Zu gut für die Tonne!. Hier setzt sich das BMEL mit einer Informationskampagne gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln ein.
Beste Reste! Du hast zu viel gekocht oder noch jede Menge Vorräte zuhause? Dann ran an die Reste: Finde leckere Rezeptideen in unserer Datenbank und verwerte deine Lebensmittel zu kreativen neuen Gerichten.
Achtung, für das Verbrauchsdatum („verbrauchen bis …“), z.B. auf Hackfleisch, gelten andere Regeln, die eingehalten werden müssen. Es besteht die Gefahr, dass sich bei diesen empfindlichen Lebensmitteln Keime und Bakterien entwickeln und vermehren. Nach Ablauf des Verbrauchsdatums sollten Sie Lebensmittel daher entsorgen.
2. „Containern“
„Containern“ bedeutet lat Duden „weggeworfene, noch genießbare Lebensmittel zum Eigenverbrauch aus dem Abfallcontainer (eines Supermarktes) holen“. Jeden Tag werfen Supermärkte große Mengen unverkaufter Lebensmittel weg – wegen abgelaufener Mindesthaltbarkeitsdauer oder Druckstellen. Viele der weggeschmissenen Lebensmittel sind aber noch essbar. Doch wer das Essen aus den Abfallbehältern nimmt, begeht nach geltendem Recht in Deutschland einen Diebstahl oder Hausfriedensbruch.
3. Verlust an Lebensmitteln – Pro-Kopf-Wert
Rechnet man nicht nur das, was die Verbraucher wegschmeißen, sondern auch die Verluste bei Erzeugern und im Handel mit ein, geht pro Kopf noch mehr an Lebensmitteln verloren. Die FAO, Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, hat in einer Studie für Europa und Nordamerika ca. 280 bis 300 Kilogramm pro Person pro Jahr an Lebensmittelverlusten genannt.
http://www.fao.org/3/mb060e/mb060e.pdf
4. „Save Food“
Die Welternährungsorganisation FAO setzt sich mit der Initiative „Save Food“ dafür ein, diesen Verlust und die Verschwendung von Nahrungsmitteln weltweit zu reduzieren.
Die Vereinten Nationen wollen bis 2030 die Mengen an Lebensmittelabfällen aus dem Handel und vom Endverbraucher zu halbieren. Diesem Nachhaltigkeitsziel haben sich auch die EU und die deutsche Bundesregierung angeschlossen. Forschungsprojekte der EU, mit Namen wie „Refresh“ oder „Fusions“ sind allerdings im Jahr 2019 ausgelaufen.
https://link.springer.com/article/10.1007/s00506-019-0575-z
5. Nahrungsmittelverluste vs. Lebensmittelverschwendung
Die Welternährungsorganisation FAO unterscheidet zwischen „Nahrungsmittelverlusten“ und „Lebensmittelverschwendung“: „Food losses“ und „Food Waste“. Nahrungsmittelverluste, so die FAO, gibt es vor allem bei der Ernte, beim Transport und bei der Lagerung. Für „Lebensmittelverschwendung“ seien hauptsächlich die Händler und die Verbraucher verantwortlich.
http://www.fao.org/food-loss-and-food-waste/en/
6. Welthungerbericht
Im Jahr 2018 gab es laut UN-Angaben weltweit 821,6 Millionen hungernde Menschen. Im Jahr 2017 lag die Zahl noch bei 811 Millionen. Zunehmende Wirtschaftskrisen, Konflikte und Klimawandel sind die Hauptgründe dafür.
7. „Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“
Die Bundesrepublik Deutschland hat mittlerweile eine „Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hatte sie vorgelegt; das Bundeskabinett hat sie am 20. Februar 2019 verabschiedet.
Die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung stellt aus ethischer, ökologischer und ökonomischer Sicht eine Herausforderung für alle Beteiligten dar: für die Politik, für die Wirtschaftsbeteiligten, die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft. Die „Nationale Strategie“ gibt den Rahmen für den nun folgenden Prozess vor, um gemeinsam Maßnahmen zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen festzulegen und ein gesellschaftliches Umdenken zu erreichen: mehr Wertschätzung gegenüber unseren Lebensmitteln und den zur Herstellung benötigten Ressourcen.
8. „Foodwaste“-Hierarchie
Die „Foodwaste“-Hierachie ist als umgedrehte Pyramide, mit der Spitze nach unten, dargestellt. Sie hat fünf Balken.
An oberster Stelle der Pyramide steht der größte Balken „Vermeidung“: Erst gar keine Lebensmittel wegschmeißen, sondern sie verzehren – nicht zu viele produzieren, nicht zu viele einkaufen, nicht zu viele im Kühlschrank haben.
An zweiter Stelle steht: Die „Weiterverwendung“. Lebensmittel, die man zu viel hat, kann man an andere weitergeben. Also an „Die Tafeln“, die schon in vielen Städten solche Lebensmittelrettungen machen.
Mengenmäßig dritter Stelle in der Pyramide zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung werden die Lebensmittel, die immer noch anfallen, wiederverwertet beispielsweise als Tierfutter. Allerdings gelten dafür innerhalb der EU strenge Vorschriften (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52018XC0416(01)&from=EN ), sie dürfen nicht verunreinigt oder verdorben sein, und nicht alle Lebensmittel dürfen einfach zu Tierfutter umdeklariert werden.
An vierter Stelle der Vermeidungs-Pyramide werden Lebensmittel, die sich für Mensch und Tier nicht mehr zum Verzehr eignen „wiederhergestellt“. Entweder kompostiert, oder dafür verwendet, erneuerbare Energien zu erzeugen.
Erst an fünfter und letzter Stelle steht dann die Beseitigung auf der Müllhalde. – das Ziel ist, dass hier, am Ende der umgedrehten Pyramide, möglichst wenig an nicht mehr brauchbaren Lebensmitteln übrig ist.
https://www.epa.gov/sustainable-management-food/food-recovery-hierarchy Diese Abfall-Hierarchie findet sich zum Beispiel in der EU-Abfall-Richtlinie; sie wird einfach sinngemäß auf Lebensmittel angewendet, auch die US-Umweltbehörde verwendet eine ähnliche Pyramide
9. weiterführende Literatur
https://ec.europa.eu/info/strategy/food-safety_de
10. Personen
Selina Juul
Selina Juul wuchs in Russland auf, bevor sie im Alter von dreizehn Jahren nach Dänemark übersiedelte. Sie arbeitet als Vortragsrednerin und Grafikdesignerin. 2008 gründete sie die gemeinnützige Organisation „Stop Wasting Food“. Seither ist daraus die größte Verbraucherbewegung gegen Lebensmittelverschwendung in Dänemark geworden, die immense mediale Wirkung und Ergebnisse erzielt hat. Die Bewegung arbeitet mit EU- und UN-Initiativen zusammen und Selina Juul hat viele Preise für ihr unermüdliches Engagement gegen Lebensmittelverschwendung erhalten, darunter den Natur- und Umweltpreis 2013 des Nordischen Rates und den Svend Auken Preis 2013, der ihr von der dänischen Premierministerin Helle Thorning-Schmidt überreicht wurde.
Prof. Dr. Michael Rosenberger
Herr Rosenberger, geboren 1962 in Würzburg, absolvierte sein Abitur 1981 in Kitzingen. Er studierte Theologie in Würzburg und Rom. Seine Priesterweihe folgte 1987 in Rom. Zwischen 1989 und 1993 war er als Kaplan in Traustadt und Marktheidenfeld tätig. Er arbeitete als Religionslehrer am Gymnasium in Hammelburg zwischen 1993 und 1995. Weiterhin war er nebenamtlich als Seelsorger in Weyersfeld tätig. 1995 folgte seine Promotion an der Universität in Würzburg. Seit 1996 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Moraltheologie. 1999 folgte seine Habilitation im Fach Moraltheologie und die Ernennung zum Privatdozenten. Ab dem Wintersemester 2002/2003 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der KTU Linz. Seit 2002 ist er nebenamtlicher Kurat der Pfarre St. Peter und Paul Oftering. 2004 wurde er in die Gentechnik-Kommission beim österreichischen Bundesministerium für Gesundheit und Frauen berufen. Im Jahre 2004 wurde er zum Umweltsprecher der Diözese Linz ernannt.
Dr. Benedikt Jahnke
Herr Jahnke studierte Ökologische Agrarwissenschaften an der Universität Kassel und schloss dieses Studium mit einem Bachelor ab. Anschließens absolvierte er sein Masterstudium in Wirtschaft und Soziologie des Landbaus an der Universität Göttingen. Er arbeitete als studentische Hilfskraft im Fachgebiet Agrar- und Lebensmittelmarketing der Universität Kassel sowie am Lehrstuhl für Soziologie ländlicher Räume an der Universität Göttingen. Weiterhin war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im LOEWE-Schwerpunkt „Tier-Mensch-Gesellschaft“ der Universität Kassel sowie am Institut für Soziologie der Universität Bern. 2018 wurde er mit seiner Arbeit zum „Mülltauchen für eine bessere Welt: Eine Mixed Methods Studie zum Containern in Deutschland“ an der Universität Bern promoviert. Zwischen Oktober 2018 und Februar 2019 war er Lehrkraft für besondere Aufgaben im Bereich qualitativer Methoden der empirischen Sozialforschung und Mitarbeiter am Fachgebiet Agrar- und Lebensmittelmarketing der Universität Kassel. Seit September 2019 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Agrar- und Lebensmittelmarketing der Universität Kassel.
Prof. Dr. Ulrich Hamm
Herr Hamm studierte Agrarökonomie an der Universität Hohenheim. Seine Promotion folgte 1983 an der Universität Hohenheim über Langfristprognosen für Agrarmärkte. Im Jahr 1990 erfolgte seine Habilitation an der Universität Hohenheim über Grundlagen des Marketing für landwirtschaftliche Unternehmen. Zwischen 1991 und 1993 war er Oberassistent an der Universität Hohenheim daneben hatte er Lehraufträge an der Martin-Luther-Universität in Halle sowie an der Universität in Leipzig. Eine C3-Professur für Landwirtschaftliche Marktlehre und Agrarmarketing an der Fachhochschule Neubrandenburg hatte er zwischen 1993 und 2003 inne. Seit März 2003 hat er eine C4-Professur für Agrar- und Lebensmittelmarketing an der Universität Kassel in Witzenhausen.
Vytenis Andriukaitis
Herr Andriukaitis wurde in Sibirien geboren, wohin seine litauischen Eltern 1941 vom stalinistischen Regime deportiert worden waren. Erst gegen Ende der 50er-Jahre konnte die Familie nach Litauen zurückkehren. 1969 bestand Vytenis Andriukaitis an der 24. Mittelschule in Kaunas mit Auszeichnung die Abiturprüfung. Von 1969 bis 1975 absolvierte er ein Studium der Chirurgie am Medizinischen Institut Kaunas, von 1979 bis 1984 studierte er Geschichte an der Universität Vilnius. Von 1976 bis 1984 arbeitete er als Chirurg im Krankenhaus Ignalina. 1980 machte er einen Abschluss in Militärchirurgie in Riga. Von 1985 bis 1993 arbeitete er beim Klinischen Krankenhaus Vilnius als Kardiochirurg.
1988–1989 war er Mitglied der Unabhängigkeitsbewegung Sąjūdis. Von 1989 bis 1999 und 2001 war er stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Litauens, von 1999 bis 2000 ihr Vorsitzender. Von 1992 bis 2004 und von 2008 bis 2014 gehörte er dem litauischen Parlament (Seimas) an, von 2001 bis 2004 als dessen Vizepräsident. Von 2012 bis Juni 2014 war er Gesundheitsminister Litauens. Von November 2014 bis November 2019 war er EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.
Thomas Schmidt
Herr Schmidt arbeitet am Johann-Heinrich von Thünen Institut für ländliche Räume, Wald und Fischerei“ in Braunschweig, einer Forschungseinrichtung des BMEL. Zu seinen Arbeitsbereichen zählen Ressourcennutzung, Umwelt- und Naturschutz sowie Weiterentwicklung der EU-Agrarpolitik. Seine Aktuellen Projekte umfassen „Berichtsmodul Landwirtschaft und Umwelt in den Umweltökonomischen Gesamtrechnungen“, „Lebensmittelabfälle reduzieren (REFOWAS)“, „Thünen Agrar-GIS“, „F.R.A.N.Z. – Für Ressourcen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft“, „Lebensmittelabfälle in Großküchen reduzieren (ELoFoS)“, „Effiziente Reduzierung der Lebensmittelverschwendung im Groß- und Einzelhandel“, „Wie Agrarumweltprogramme wirken“ und „Hilft Naturschutzberatung dem Rotmilan?“.
Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial. Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 06.05.2020 erstellt von Dr. Sandra Habicht und Jana Roßney.
Zusatzmaterialien als PDF zum Herunterladen